Fußtritte für den Rechtsstaat
Wer Zeuge wird, wenn auf Wehrlose mit Füßen eingetreten wird, soll aktiv werden. Nicht durch Zurücktreten, sondern indem man den Tretenden zunächst durch Überzeugung, mangels Erfolg aber auch mit Gewalt am Treten zu hindern versucht.
Wüsste man nicht um unzählige ungenierte Fußtritte gegen den Rechtsstaat, die in unserem Gemeinwesen ohne Anspruch auf Seltenheitswert „passieren“, man würde laut aufheulen über die unsägliche Wortspende eines aus allen Fugen geratenen NÖ Landesrates Mancher von hetzenden Biertischpolitikern leidgeprüfte Österreicher ist zwar eine Schrecksekunde lang fassungslos über jeden derartigen Fehl-Tritt, geht aber doch in seiner diktaturgeprägten Obrigkeitshaltung resignierend zur Tagesordnung über, die uns dann gleich darauf wieder den nächsten Fehl-Tritt beschert.
Aktion 21 vergisst nicht
Aktion 21 hat sich zur Aufgabe gemacht, krasse Fälle politisch motivierter Fehltritte dem Vergessen zu entreißen, aufzulisten und nicht müde zu werden, sie immer wieder zu wiederholen. Es sind Angriffe auf den Rechtsstaat, gegen die eine immer noch sehr lückenhafte Rechtsordnung der Bürgerin und dem Bürger keine rechtliche Handhabe bietet, dagegen aufzutreten. Ihnen bleibt nur der zahnlose Protest, und selbst den möchten gewisse Politiker am liebsten abstellen. So halt, wie es ihnen passt.
Beispiele gefällig? Augartenspitz, Wien Mitte, Steinhof – das sind nur die Spitzen eines riesigen Eisgebirges. Beteiligt sind Politiker aller vier in Wien etablierten Parteien, einmal der Gigl, einmal der Gogl.
Nur unter dem Druck der EU
Vor diesem Hintergrund ist das Gezetere um die EU-Zugehörigkeit direkt makaber. Wären wir nicht ein Teil dieser EU, gäbe es bei uns in lokalen Fragen nicht einmal die primitivsten Bürgerrechte. Erst unter dem Druck der EU haben Bürgerinitiativen in Bewilligungsverfahren für größere Projekte Parteienstellung bekommen, wodurch sie die Höchstgerichte gegen besonders arge Rechtsverletzungen anrufen können. Immer noch wird die verpflichtende Übernahme von SUP (Strategischen Umweltprüfungsverfahren) in unsere Rechtsordnung blockiert.
Wer verzögert?
Bei den UVP (Umweltverträglichkeitsprüfungen) hat man im nachhinein Ausnahmen geschaffen, durch die besonders große Projekte ohne UVP durchgewunken werden können – um Verzögerungen hintanzuhalten!!! Im Klartext: man erlässt rechtswidrige Bescheide, eine Bürgerinitiative ficht diese im legalen Weg an, und pormpt heißt es: Verzögerer und Verhinderer! Indem man bewusst rechtswidrige Bescheide erlässt, schafft man damit die Voraussetzungen, Bürgerinitiativen, die sich unterstehen, dagegen aufzutreten, als Verhinderer und Verzögererer anzupatzen und diese Verleumdungen dann als Argument für eine Abschwächung des UVP-Gesetzes zu missbrauchen.
Wer ist „die Bürgerinitiative“?
Eine gesetzlich anerkannte Bürgerinitiative ist an sehr strenge Kriterien gebunden. Sie kann erst gebildet werden, wenn ein Vorhaben genau formuliert ist. Es ist gebräuchliche Unsitte, dies so spät wie möglich zu tun. Würde man damit früher herausrücken, fiele das Verzögerungsargument nicht selten weg. Die mindestens 200 Unterschriften werden dann streng geprüft. Werden am Ende nur 199 anerkannt, gibt es keine Reparaturmöglichkeit. Man muss also de facto mindestens 20% Unterschriften mehr als Sicherheitsposter sammeln. Mangels anderer Angabe vertritt der oder die Listenerste die Initiative. Sie ist in dieser Person identifiziert. Wer gegen die Initiative vorgeht, geht gegen eine bestimmte Person, die die Liste anführt, vor.
Was ein Landesrat wissen muss
All das muss ein Landesrat wissen, wenn er zum Protest gegen eine Bürgerinitiative aufruft. Er muss wissen, dass sich dieser Protest mangels anderer Ziele nur gegen den Listenführer oder die Listenführerin richten kann. Eine Initiative hat kein Vereinslokal, hat kein Büro. Die Adresse kann nur die Privatwohnung sein. Der Herr Landesrat sollte auch wissen, dass Demonstrationen angemeldet und dass dabei die Verantwortlichen genannt werden müssen. Er sollte den Weitblick haben, damit zu rechnen, dass ein von ihm auf die Initiative, das heißt auf den Privatwohnsitz des Listenführers oder der Listenführerin gehetzter Mob bei der Polizei keine Demo anmeldet und daher auch niemand für Ausschreitungen verantwortlich zeichnet. Da ist eine Familie dem aufgehetzten Mob schutzlos ausgeliefert.
Phantasie? Die tätlichen Angriffe des Wiener Mobs gegen die Familie eines ÖOC-Funktionärs nach der Disqualifikation von Karl Schranz durch das IOC in Sapporo (1972) sind noch in unguter Erinnerung. Der Herr Landesrat sollte auch davon gehört haben. Es stand damals – er war immerhin schon 12 und sicher an sportlichen Dingen interessiert - in allen Zeitungen.
Rücktritt oder Abberufung geboten
Der Herr Landesrat sollte sich daher der Folgen seines Handelns bewusst sein. Wenn so etwas von rechts- oder linksaußen kommt, dann ist man zu Recht sofort mit der Polizei zur Stelle. Die war diesmal auch zuverlässig und korrekt, und das ist ihr angesichts der politischen Machtverhältnisse hoch anzurechnen. Sie hat verhindert, dass protestierende Bürger in ihrem Privatleben von einem aufgeheizten Mob bedroht werden. Das genügt aber nicht. Ein Landesrat, der sich seiner politischen Verantwortung nicht bewusst ist, muss abtreten. Solche Fehler sind nicht tolerierbar. Es sind Tritte gegen den Rechtsstaat, die nicht geduldet werden dürfen, weder von rechts, noch von links, und schon gar nicht unter dem Mantel einer Partei, die sich als eine der Mitte geriert. Der Landeshauptmann ist gefordert, ein rasches Machtwort zu sprechen, ohne Wenn und Aber. Dem Rechtsstaat zuliebe.
Den Bürger ernst nehmen
Man kann zu den Poysdorfer Bürgeranliegen stehen, wie man will. Man kann sie für unverschämt halten. Man kann sie für überzogen halten. Man kann sie für legitim halten.
Eines aber darf man keinesfalls: sie nicht ernst nehmen. Man muss sie genau so ernst nehmen, wie man die Meinung der jeweils anderen ernst nehmen muss. Und man sollte sich hüten, den Bürgern direkt oder indirekt zu drohen, wenn sie sich unterstehen, von einem der wenigen, noch dazu bitter erkämpften demokratischen Bürgerrechte Gebrauch zu machen.
Im Umgang mit dem Bürger besteht bei gewissen Vertretern der Politik offenbar noch ein gewaltiger Lernbedarf. Sie sollten dafür karenziert werden.
Helmut Hofmann