Bürgerrechte wurden und werden von einer maßlosen Obrigkeit, deren einziges Ziel ihr Machterhalt ist, stets als lästig empfunden. Wenn sie nicht beseitigt werden können, dann sollen sie zumindest so weit wie möglich eingeschränkt werden.
EU und Bürgerbeteiligung
EU-phorie und Eurorausch waren gestern. Sie haben Österreich einen Quantensprung in der demokratischen Entwicklung gebracht. Verkrustete, imperiale Strukturen wurden – wenn auch vorsichtig und halbherzig – aufgebrochen. EU-Richtlinien sind in die nationale Gesetzgebung eingedrungen und mit ihnen ein erstes Morgenlüfterl dauernder und verpflichtender (und nicht ab und zu gnädig gewährter) Bürgerbeteiligung. Die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung hat auch in unserem Land zu einer Mitwirkung von Bürgerinitiativen bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (im Rahmen der sogenannten Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP) geführt.
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Rückfall ins vorige Jahrtausend ?
Die EU-phorie ist einer Euroskepsis gewichen. Die Strukturbewahrer wittern Morgenluft. Sie sind nahe daran, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, das zarte Pflänzchen einer umfassenden Bürger-Demokratie, von dem wir ohnedies noch meilenweit entfernt sind, wieder in den totalitären Sumpf zurückzudrängen.
So fordert ÖBB-Chef Kern, das „Gemeinwohl“ müsse bei Großverfahren wie Bahntunnelbauten – stärker berücksichtigt werden, und kritisiert die Parteienstellung von „Ein-Personen-NGOs“ bei der UVP. Wer mit derart untergriffigen Ausdrücken die öffentliche Meinung zu manipulieren versucht, weiß genau, was er da daherredet. Er kennt die strengen gesetzlichen Vorgaben für eine Bürgerinitiativen-Beteiligung an einem UVP-Verfahren sehr genau. Er weiß, dass hinter der „einen“ Person, die in einem solchen Verfahren eine Bürgerinitiative vertreten darf, mindestens 200 nachgeprüft identifizierte Personen stehen müssen. Und dass bei jeder noch so unbedeutenden Änderung des Projektziels deren Unterschriften nochmals (und gegebenenfalls abermals) eingeholt werden müssen. Also sagt Herr Kern so etwas in der gezielten Absicht, Bürgerinitiativen generell zu diskreditieren und als „Einzelinteressen“ gegenüber seinem eigenen Begriff von „Gemeinwohl“ gegenüberzustellen.
Schrittweise Eliminierung der Bürgerbeteiligung
Dass es sich dabei um eine konzertierte Aktion handelt, signalisiert die alarmierende Meldung, derzufolge das Verkehrsministerium - noch unter der Verantwortung von Frau Bures - „Hürden beim Bau von Autobahnen und Schnellstraßen“ mit einer neuen Lärmschutzverordnung „aus dem Weg räumen“ will. Was dahinter steckt: eines der derzeit größten Umweltprobleme, der rapid ansteigende, gesundheitsgefährdende Lärm, soll durch eine alle Situationen über einen Kamm scherende Norm begrenzt werden. Durch Grenzwerte, die man später im Wege der Anlassgesetzgebung ohne Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger nach Belieben ändern kann – nach oben, versteht sich.
Nicht zu vergessen: das UVP-Verfahren wurde vor mehreren Jahren für Großprojekte ohnedies schon „verkürzt“, um dessen Abwicklung durch Eliminierung „störender“ Bürgerinitiativen zu beschleunigen. Und „kleinere“ Projekte, wie etwa der Monsterkomplex Wien Mitte, unterliegen nach der in Österreich üblichen Handhabung des UVP-Gesetzes überhaupt nicht einer verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Was also bliebe, wäre eine Handvoll unbedeutender Projekte mittlerer Größe, bei denen es dann noch eine ohnedies mehrfach beschnittene, bescheidene Bürgerbeteiligung gäbe. Man wäre dann, wie im 20. Jahrhundert, wieder „unter sich“ und könnte sich in aller Ruhe ausschnapsen, wie man jeglichen „störenden“ Umweltschutz ausschalten und sich auf ein paar kosmetische Belanglosigkeiten zurückfallen lassen könnte, die man dann großartig als tolle Rettung der Umwelt verkaufen würde. Der Bevölkerung wären die für eine Kontrolle der Gesetzeskonformität des UVP-Verfahrens nötigen Informationen entzogen, Rechtsmittel gegen ungesetzliche Bescheide nicht mehr möglich. Der Korruption im großen Stil wären wieder Tür und Tor geöffnet.
Persönliche Bedrohung
Die Eliminierung von Bürgerinitiativen ist in eine neue Phase des reaktionären Kampfes gegen demokratischen Bürgerbeteiligung getreten. Beim Bau der A 5 im Großraum von Poysdorf ist die NÖ Landespolitik dazu übergegangen, eine Bürgerinitiative dadurch unter Druck zu setzen, dass die Privatsphäre und Familie der Sprecherin zur Kampfarena der Auseinandersetzung gemacht wurde. Damit wurde Menschen, die sich nicht beruflich, sondern aus persönlicher Überzeugung in die politische Öffentlichkeit begeben, eine Rute ins Fenster gestellt, die bisher nur aus Diktaturen übelster Machart bekannt war. Bürgerinitiativen durch solche Machenschaften zum Verzicht auf ein ihnen gesetzlich (noch) eingeräumtes Berufungsrecht gegen gesetzwidrige Bescheide zu verhalten, ist ein schwerer Schlag gegen den demokratischen Rechtsstaat. Er lässt im Zusammenhang mit den Wortspenden zur „Beschleunigung“ der UVP-Verfahren Schlimmes befürchten. Speed kills Democracy.
Eigenartiges Rechtsbewusstsein
Was dabei noch übersehen wird: zahlreichen Berufungen von Bürgerinitiativen in UVP-Verfahren wurde von den Höchstgerichten stattgegeben. Gerade Herr Kern weiß davon ein Lied zu singen. Da stellt sich doch die Frage, wen die Schuld an Verfahrensverzögerungen trifft: die Behörde, die willfährig gesetzwidrige Bescheide erlässt oder diejenigen, die auf Einhaltung der zum Wohl der Allgemeinheit bestehenden Gesetze dringt? Wer berechtigte Berufungen und Einsprüche als Sabotageakte ansieht,
zeigt ein sehr merkwürdiges, ja geradezu gefährliches Rechtsbewusstsein. Von dem berüchtigter Diktaturen ist es nicht weit entfernt. Wachsamkeit ist angesagt!
Bürgerinitiative als Gratwanderung
Dabei müssen Bürgerinitiativen ohnedies ununterbrochen auf der Hut davor sein, wegen Verletzung irgendwelcher Privatrechte von finanziell weitaus Potenteren geklagt zu werden. Die schrecken die Kosten selbst eines verlorenen Prozesses kaum, während sich zu Unrecht Geklagte trotz späteren Kostenersatzes jahrelang an den Abgrund ihrer finanziellen Existenz gedrängt sehen, zumal sie nicht durch das mächtige Fangnetz einer politischen Partei aufgefangen werden. „Niederklagen“ hat das einmal ein bekannter Journalist genannt.
Haltet den Dieb!
Völlig unglaubwürdig wird der Ruf nach Eliminierung der angeblich verfahrensverzögernden Bürgerinitiativen dadurch, dass die Politik auf das ideale Mittel zur Verfahrensbeschleunigung schlechthin ganz bewusst und gezielt verzichtet: auf die strategische Umweltprüfung (SUP). Der Verzicht erfolgt aus dem gleichen Motiv: die (auch bei der SUP verpflichtende) Bürgerbeteiligung ist unerwünscht. Also verzichtet man auf die nicht verpflichtende SUP, obwohl sie durch Vorklärung vieler strittiger Fragen ein nachfolgendes UVP-Verfahren über ein konkretes Projekt erheblich verkürzen würde. Es ist daher ausgesprochen hinterhältig, ohne vorhergegangene SUP die dadurch verursachte Verlagerung von Streitfragen in die UVP ausgerechnet den Bürgerinitiativen in die Schuhe zu schieben, statt sich für die eigenen Versäumnisse selbst bei der Nase zu nehmen.
Die EU ist gefordert
Es ist eine nationale Schande, dass es wieder einmal nötig sein wird, die europäische Staatengemeinschaft um Hilfe im innerstaatlichen Kampf für Bürgerbeteiligung und gegen Korruption anzurufen, so wie wir auch unser kulturelles Erbe gegen die eigenen Berufspolitiker ohne tatkräftige Hilfe der UNESCO nicht wirksam verteidigen können. Wir werden diese Schande verkraften müssen, um noch Schlimmeres zu verhindern: den Rückfall in eine Zeit der barbarischen Diktatur, in der jedes von der Parteilinie abweichende politische Engagement mit drakonischen „Maßnahmen“ gegen die engagierten Bürgerinnen und Bürger beantwortet wurde. Sie ist näher als wir glauben.
Helmut Hofmann