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Wortspende zur direkten Demokratie?

Othmar Karas im Interview, Wiener Zeitung vom 16.08.12:
„Die direkte Demokratie muss und soll die repräsentative ergänzen, kann sie aber nicht ersetzen.“

So weit, so gut. Das wäre ganz in unserem Sinn, vorausgesetzt, Othmar Karas verstünde unter direkter Demokratie das, was die Politikwissenschaft darunter versteht. Doch schon im nächsten Satz können einem da Zweifel überkommen:

„Ich will eine echte Beteiligung der Bürger im Entscheidungsfindungsprozess.“

Das klingt eher nach partizipativer als nach direkter Demokratie. Beteiligung der Bürger im Entscheidungsfindungsprozess ist genau das, was auch Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Auch den nächsten Satz

„Aber ich bin gleichzeitig für eine Stärkung des Parlamentarismus.“

könnte man noch unterschreiben, wenn es darum ginge, die Parlamente gegenüber den Regierungen – und nicht gegenüber den Wählern - zu stärken. Aber dann kommt etwas zum Kopfschütteln:

„ Man kann Politikerverantwortung nicht durch Multiplizierung von Volksabstimmungen ersetzen.“

Da fragt sogar die Interviewerin Katharina Schmidt: „Wie soll das vonstatten gehen?“

Da endlich lässt Othmar Karas seine demokratiepolitische Hose herunter:

„Ohne parlamentarische Zustimmung darf es keine Entscheidung auf österreichischer und europäischer Ebene geben. Ich bin für die Weiterentwicklung der EU zur politischen Union, weil nur so mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz möglich ist.“

Zurück also zur direkten Demokratie und auch wieder nicht? Da wird zunächst dem Souverän – dem Volk – die Letztentscheidung abgesprochen. Nur die Parlamente sind nach Othmar Karas’ Meinung dazu legitimiert, das letzte Wort zu haben. Darüber, dass sie dazu von ihren Wählern nicht gerade beauftragt wurden, kein Wort. Als ob Karas sich der Fragwürdigkeit einer solchen Aussage bewusst wäre, jagt er sofort eine Nebelgranate nach, die mit Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie herzlich wenig zu tun hat: die „Weiterentwicklung der EU zur politischen Union“. Auf streng parlamentarischer Basis natürlich, wie eben hervorgehoben. Und weil ein gedanklicher Zickzackkurs in Sachen Partizipation konsequent, das heißt im Zickzack, zu Ende geführt werden muss, legt Karas eine Begründung nach, die bei näherem Hinsehen alles andere als eine solche ist: „weil nur so mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz möglich ist“. Wie bitte? „nur so“? Wie - so? Vielleicht in der Weiterentwicklung der EU zur politischen Union, in der das Parlament das letzte Wort hat? Im Erfordernis dieser parlamentarischen Zustimmung in EU und in Österreich? Vielleicht durch Nichtmultiplizierung von Volksabstimmungen? Oder gar durch Stärkung des Parlamentarismus?

Ratlosigkeit macht sich breit, Ratlosigkeit darüber, was Othmar Karas mit dem Satz „Ich will eine echte Beteiligung der Bürger im Entscheidungsfindungsprozess“ gemeint haben könnte. Ist es denkbar, dass ein Europaabgeordneter „direkte Demokratie“ sagt, wenn er „partizipative Demokratie“ meint? Dass er den Unterschied möglicherweise nicht kennt? Dass er Kraut und Rüben durcheinanderbringt? Wie ernst sind seine Aussagen in diesem Fall zu nehmen? Oder meint er doch direkte Demokratie und denkt dabei an eine gleich doppelt kastrierte direkte Demokratie – einmal dadurch, dass sie ins Raritätenkabinett gestellt wird, ein andermal dadurch, dass sie unter der Entscheidungsvormundschaft der Parlamente steht, also eher Empfehlungs- als Entscheidungscharakter haben soll?

Man könnte ja, sich an einen bekannten Treichl-Ausspruch erinnernd, über solche Wortspenden zur Tagesordnung übergehen, wäre Othmar Karas irgendein Politiker. Er ist aber nicht irgendeiner, sondern einer der führenden politischen Repräsentanten Österreichs in Brüssel. Mit solchen Wortspenden allerdings keine politische Österreich-Werbung. Und – so nebenbei – auch nicht gerade eine für seine Partei und deren Glaubwürdigkeit in Beteiligungsfragen.

H. Hofmann

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