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Zirl/ Tirol: Bürgerbeleidigung – auch anderswo

Ein unglaubliches Beispiel von Bürgerbeleidigung wird aus Zirl gemeldet. Dort hat die Bevölkerung gegen ein Neubauprojekt eine Befragung erzwungen. Noch vor ihrer Abhaltung, aber im Wissen um diese haben die Gemeindevertreter unter Bürgermeister Hans Peter Schneider (SPÖ) die für die Errichtung erforderlichen Beschlüsse gefasst.

Von den 5.270 Stimmberechtigten waren 1414 zur Befragung gegangen. Das entspricht einer Beteiligung von 26,83 Prozent. 1089=77,34 Prozent stimmten gegen das Hochhaus, 319=22,66 Prozent dafür. 6 Stimmen waren ungültig. Man darf wohl davon ausgehen, dass die meisten der 73% Zuhause Gebliebenen mangels eigener Meinung die Entscheidung den anderen überlassen haben. Deren Votum war deutlich genug.

Überheblichkeit und Justamentstandpunkte sind da nicht hilfreich. Wenn die Gemeindevertreter schon die Stirne gehabt haben, die Befragung durch vollendete Tatsachen zu torpedieren, dann ist der Schuss ins eigene Knie gegangen. Sich jetzt auf rechtskräftige Beschlüsse auszureden ist schlechter Stil. Ein derart deutliches Votum zu missachten noch schlechterer.

Die Berufung auf Kreisky, der bekanntlich das Volksbegehren gegen das Konferenzzentrum ignoriert hatte, verfängt nicht. Erstens konnte Kreisky immerhin darauf hinweisen, dass ein Volksbegehren keine Befragung sei, dass also nur die Kontrastimmen gezählt wurden, die Befürworter aber keine Gelegenheit zur Meinungsäußerung hatten, und zweitens hat die Missachtung eines so eindrucksvollen Bürgerwillens die Strafe ( Verlust der absoluten Mehrheit) auf dem Fuß folgen lassen. Die Zirler können den Bau vielleicht nicht verhindern. Aber ihren Bürgermeister und die hinter ihm stehenden Gemeinderäte können sie bei nächster Gelegenheit zum Teufel jagen. Nicht wegen des Hochhauses, sondern wegen ihrer undemokratischen Vorgangsweise. Denn wenn Anneliese Rohrer unlängst im KURIER gefragt hat, ob eine Demokratie mit rein demokratischen Mitteln derart ausgehöhlt werden kann, dass ihr unter gewissen Umständen von innen heraus Gefahr drohe, und hinzugefügt hat, "In Österreich ausgeschlossen, wäre die erste Reaktion", dann muss man nicht auf die formalrechtlich lupenrein zustande gekommene Etablierung des Dollfuß-Regimes zurückgreifen, an deren Wiege die unselige Anwendung eines Geschäftsordnungstricks im Parlament (durch die Sozialdemokraten) gestanden ist. Der Bürgermeister von Zirl gibt ein beredtes Beispiel dafür, dass diese Gefahr noch lange nicht gebannt ist. Und wenn wir vor der eigenen Haustüre kehren: die Vorgangsweise ist uns auch aus Wien nur allzu bekannt. Auch hier meinen die Regierenden: Bürgerbeteiligung ja, aber nur so lange, als die demokratisch legitimierten Gremien keine entsprechenden Beschlüsse gefasst haben.

Genau das ist es, was Anneliese Rohrer mit Aushöhlung der Demokratie mit rein demokratischen Mitteln gemeint hat. Wo, wenn nicht hier, hätte der oberste Hüter der Bundesverfassung, der Bundespräsident, Handlungsbedarf?

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