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Wie sehen Sie Bürgerbeteiligung?

Antworten auf 7 Gretchenfragen

Im August hatten wir 9 wahlwerbenden Parteien sieben Fragen zur Bürgerbeteiligung gestellt. Geantwortet haben (in dieser Reihenfolge): Stronach, FPÖ, Grüne. BZÖ, Piraten, SPÖ. Nicht geantwortet haben ÖVP, KPÖ und NEOS. Die Antworten sind im vollen Wortlaut auf diese Homepage gestellt worden. Wer Zeit und Mühe scheut, sie zu lesen, mag hier weiterlesen.

Bürgerbeteiligung – die große Unbekannte?

Leider wurde nach längeren internen Diskussionen die Frage „Was verstehen Sie unter Bürgerbeteiligung?“ nicht gestellt. Dies deshalb, weil sie von politischen Parteien als beleidigend gesehen werden könnte. Zu Unrecht – fast alle Antworten beziehen sich auf die direkte oder plebiszitäre Demokratie, als gäbe es unser Modell der partizipativen Demokratie nicht. Es wird offenbar von den meisten – ungewollt oder absichtlich - immer noch nicht verstanden.

Klarheit ist Mangelware

Die Antworten, vor allem die der „gestandenen“ Politik, sind im üblichen Politikersprech gehalten. Viele Worte statt klarer, kurzer Ansagen. Man hat aus der Vergangenheit gelernt. Es ist gefährlich, Verbindliches von sich geben – es könnte einem ja immer wieder unter die Nase gerieben werden. Daher der Hang zur Beschränkung auf allgemeine Floskeln. Eine mitunter zur Unverständlichkeit führende Schludrigkeit mag vielleicht mit dem Zeitdruck für die Antworten begründet werden. In einer so wichtigen Sache lassen fatale Verwechslungen dennoch tief blicken.

1.Was halten Sie von Bürgerbeteiligung als Korrektiv der repräsentativen Demokratie?

Außer Stronach und den Piraten beziehen sich alle Antwortenden letzten Endes nur auf direkte Demokratie. Sie wird offenbar als einziges Mittel der demokratischen Weiterentwicklung durch Bürgerbeteiligung angesehen. Für unser Modell der partizipativen Demokratie sind dabei weder die bekannten Vorbehalte gegen die direkte Demokratie (BZÖ) noch das Schweizer Vorbild (FPÖ) oder die Ablehnung des Begriffs „Korrektiv“ (SPÖ) nachvollziehbar. Die Grünen kennen zwar auch andere Beteiligungsformen, sehen aber konkreten Weiterentwicklungsbedarf nur bei der direkten Demokratie und bleiben im übrigen bei unkonkret-programmatischen Ansagen.

Unsere Meinung: alle – berechtigt oder unberechtigt - gegen die direkte Demokratie erhobenen Einwände sind gegenüber der partizipativen Demokratie nicht am Platz. Gegen sie gibt es außer dem (nicht stichhaltigen) Verzögerungsargument keinen einzigen argumentierbaren Einwand. Vielleicht ist das der Grund, warum Parteien, die vorgeben, im Grunde nichts gegen Bürgerbeteiligung zu haben, von der partizipativen Demokratie nichts wissen wollen? Weil sie da Farbe bekennen müssten? Wir lassen uns gerne widerlegen – aber durch Taten, nicht nur durch blumige Ansagen!

2. Auf welchen Ebenen – Gemeinde, Land, Bund - sollte Ihrer Meinung nach mit der Implementierung von Bürgerbeteiligung vorrangig oder gleichrangig angesetzt werden?

Stronach, Grüne, BZÖ und FPÖ plädieren für Gleichrangigkeit. Die SPÖ will „sinnvollerweise“ zunächst in den Kommunen beginnen. Die Piraten wollen überhaupt statt Gemeinde- und Landesebene eine einzige Bezirksebene mit gewählten Bezirkstagen und Bezirksvorstehenden.

Unsere Meinung: es ist beruhigend, dass so gut wie niemand der Bundesebene den Vorrang vor der Gemeinde- und Landesebene gibt. Damit sollte die Einsicht verbunden sein, dass die gegenwärtige Demokratiereformdebatte das Pferd beim Schwanz (Bundespolitik) aufzäumt. Freilich lässt sich dort am leichtesten mit Vorbehalten wie „Populismusanfälligkeit“, „Gefahr für Menschenrechte“, „Legitimationsquoren“, „Entscheidungsirrtum“ und ähnlichem Unsinn operieren, um echte Bürgerbeteiligung schon im Keim zu ersticken.

3. Halten Sie wirksame Bürgerbeteiligung ohne deren rechtsstaatliche Verankerung für möglich? Wenn ja, in welcher Form?
 

Ale Parteien halten eine Verankerung für notwendig, die SPÖ allerdings nur auf Gemeindeebene. Die Piraten verweisen dabei auf ihr Modell der liquid democracy, Stronach auf das gewählter unabhängiger Bürgervertreter. Auch dort, wo eine rechtliche Notwendigkeit nicht bestünde, wird diese befürwortet (Grüne, BZÖ).

Unsere Meinung: Wenn man das „Interesse“ der Parlamentsparteien an Bürgerbeteiligung und das Begräbnis eines Reförmchens der direkten Demokratie in der ablaufenden Legislaturperiode betrachtet, dann kann man sich ein Bild von der Glaubwürdigkeit ihrer Stellungnahmen machen.

4. Soll Bürgerbeteiligung Ihrer Meinung nach nur top down oder auch – mit den gleichen Realisierungsmöglichkeiten – bottom up erfolgen können?

Stronach, FPÖ und BZÖ sind für beide Formen, die Grünen und Piraten für bottom up, also von der Basis her, wobei die Grünen Grundrechtsfragen und Prinzipien der Demokratie davon ausnehmen und die Piraten top down nur bei direkter Demokratie ausschließen wollen. Die SPÖ sagt weder ja noch nein und will „sinnvolle Instrumentarien“ für Beteiligung schaffen – was immer man darunter verstehen soll.

Unsere Meinung: Bürgerbeteiligung bottom up schafft sich ihre „Instrumentarien“ selbst. Nicht die „Instrumentarien“ sollen gesetzlich verankert werden, sondern die Möglichkeit, sie von der Basis her zu gestalten. Von Gestaltungen, die „von oben“ erfolgen, haben wir – siehe Wiener „Befragungen“ genug. Oftmals bewiesen: Bürgerbeteiligung „von oben“ ist fast immer mit dem Versuch zur Gängelung der beteiligten Bürger verbunden.

5. Was wird Ihre Partei konkret unternehmen, um wirksame Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, egal ob in Regierungsverantwortung oder Opposition?

Keine einzige Antwort enthält eine konkrete, auf partizipative Demokratie passende Absichtserklärung. Das BZÖ verweist lediglich auf mehrere Initiativen zur direkten Demokratie, die Piraten wollen Live-Übertragungen aus allen Parlamenten durchsetzen.

Unsere Meinung: der Umstand, dass nicht eine einzige Ansage zu einem konkreten Einsatz für partizipative Demokratie erfolgte, lässt auf die Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse zu dieser schließen. Allgemeine und daher unverbindliche Floskeln signalisieren lediglich, dass die Parteien einer ihnen im Grunde unangenehme Frage ausweichen.

6. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass das öffentliche Interesse in allen Fällen, in denen dessen Wahrnehmung durch die dazu berufenen Behörden nicht oder nicht in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Weise erfolgt, durch Bürgerinitiativen als Verfahrensparteien wahrgenommen werden kann?

Lediglich Stronach antwortet mit bedingungslosem JA. Die FPÖ schränkt mit der Klärungsbedürftigkeit von Detailfragen ein, das BZÖ spricht von einem diskussionswerten Ansatz, verweist aber auf derzeit (bereits) gegebene Möglichkeiten (UVP-Verfahren), die Piraten auf „alternative Möglichkeiten“ im Parlament, die Grünen darauf, dass direkte Demokratie Beteiligungsrechte im behördlichen Verfahren brauche (wie immer das funktionieren soll), und die SPÖ schwächt gar ihr vor 5 Jahren gegebenes programmatisches Versprechen ab, indem sie plötzlich „Schwierigkeiten in der demokratischen Legitimation von Bürgerinitiativen“ ortet.

Unsere Meinung: Konkrete Erfahrungen mit rechtlichen Unzukömmlichkeiten in behördlichen Verfahren erfordern ein Korrektiv bei der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses. Wenn eine Behörde (über „höheren“ Wink) das öffentliche Interesse nicht oder nur unzulänglich wahrnimmt, können derzeit nur die Verfahrensparteien gegen eine Entscheidung berufen. Mitunter ergehen rechtswidrige Bescheide aber gerade in deren Sinn. Die Bürger müssen dabei tatenlos zusehen, wie Recht gebeugt wird. Hätten sie, wie im UVP-Verfahren Parteienstellung, könnten sie dagegen auftreten. Wer sich gegen eine solche Regelung querlegt, sabotiert den Rechtsstaat. Welche „Schwierigkeiten in der demokratischen Legitimation von Bürgerinitiativen“ etwa bei einer dem UVP-Verfahren nachgebildete Parteienstellung von Bürgerinitiativen, auftreten könnten, ist auf dem Boden der geltenden Gesetze nicht nachvollziehbar. Die Haltung der politischen Parteien in dieser Frage ist schlicht erschütternd, damit auch die jener Parteien, die auf unsere Fragen erst gar nicht geantwortet haben. Es hat leider den Anschein, dass das System bereits weitgehend korrumpiert ist und die Sensibilität für solche Fragen abhanden gekommen ist.

7. Sind Sie bereit, mit Aktion 21 – Austria in einen ständigen Dialog über wirksame Bürgerbeteiligung einzutreten? Durch welche Vertreterinnen oder Vertreter (bitte um Benennung der Funktion)?

Erfreulich ist, dass sich alle 6 Parteien, die geantwortet haben, zu diesem Dialog bereit erklärt haben. BZÖ und SPÖ haben Personen namentlich genannt, Grüne und Piraten auf konkrete Gremien (Dialogbüro, Vorstand) verwiesen, Stronach und FPÖ die namentliche Nennung nach der Wahl zugesagt.

Unsere Meinung: wir glauben, dass uns dabei viel „Aufklärungsarbeit“ erwartet. Wir sehen es aber positiv, dass solche Gespräche angeboten werden und hoffen, dass es dabei nicht beim small-talk bleiben wird. Es wäre jedenfalls ein bedeutender Schritt in Richtung partizipativer Demokratie.

Helmut Hofmann

P.S.

Es ist nicht auszuschließen, dass in dieser sehr nach bestem Wissen und Gewissen erstellten summarischen Darstellung manches nicht so wiedergegeben wurde, wie es gemeint gewesen war. Bitte in diesem Fall mit entsprechender Kritik nicht hinter dem Berg zu halten, wir werden uns selbstverständlich ernsthaft damit auseinandersetzen. Das Diskussionsforum zu diesem Beitrag bietet allen Lesern Gelegenheit dazu. Der volle Wortlaut der einzelnen Partei-Stellungnahmen kann ja jederzeit nachvollzogen werden, wobei es jedem frei steht, sie seiner Auffassung entsprechend zu interpretieren. Obige Zusammenfassung will nur ein Fingerzeig sein, worauf wir bei den Antworten besonderen Wert gelegt haben und wie wir sie interpretieren. Alle weiteren Schlussfolgerungen überlassen wir jedem Einzelnen.

 

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